Der Christopher Street Day - Seine Entstehung und Bedeutung


Der Christopher Street Day
(Seine Entstehung und Bedeutung)

Vor 40 Jahren begann die neue Emanzipationsbewegung der Homosexuellen Die Legende von Stonewall NEW YORK/BERLIN, 25. Juni. Deputy Inspector Seymour Pine und seine acht Beamten des New Yorker Police Departments hatten keinen Grund anzunehmen, die Nacht könnte irgendwie anders als üblich ablaufen. Razzien waren in Greenwich Village in jenem Sommer nichts Ungewöhnliches. An diesem 27. Juni 1969 hatten die Beamten einen Durchsuchungsbefehl für das Stonewall Inn in der Christopher Street. Tatsächlich schufen sie eine Legende, die in den letzten dreißig Jahren manches bewirkt hat: Die Razzia gilt als Beginn einer weltweiten Emanzipationsbewegung der Homosexuellen.

Das Stonewall Inn war einer von vielen nicht lizenzierten Clubs, in denen drei Dollar Eintritt für eine Tagesmitgliedschaft zu zahlen waren.
Da gab es wässrige Drinks, aber man konnte immerhin tanzen, mit wem man wollte. Dass Männer mit Männern tanzten, war im New York des Jahres 1969 ansonsten verboten.Das Stonewall war vollgestopft mit jungen Männern, darunter Drag-Queens (Tunten), Hippies und Jungs aus heruntergekommenen Wohnvierteln. Viele Gäste waren unter 18 Jahre alt.
Zunächst verlief die Razzia, die mit illegalem Alkohol-Ausschank begründet wurde, recht geordnet, keine Rede von Emanzipations-Rebellion: Zwei Tresenkräfte, drei Drag-Queens und eine Lesbe wurden festgenommen, die übrigen Gäste auf die Christopher Street geleitet. Die so versammelte Gruppe wurde durch Passanten noch verstärkt, schließlich waren es um die 1.000 Menschen.
Nur vereinzelt wurden Protest-Rufe laut. Die Stimmung kippte, als eine festgenommene Lesbe zu einem Polizeiauto gebracht werden sollte. Sie setzte sich zur Wehr, riss sich los. Rufe wie "Schweine" und "Faggot cops" waren zu hören, ein Hagel aus Münzen und Bierflaschen in Richtung Polizei setzte ein. Die fand sich plötzlich umzingelt und suchte innerhalb des Lokals Schutz. Von drinnen hörten die Beamten das Geräusch splitternden Glases und den dumpfen Aufschlag von Pflastersteinen.
Draußen johlte die Meute. Daraufhin entsicherten die Polizisten ihre Waffen, einer brüllte:
"Wir werden den ersten Scheißkerl erschießen, der durch die Tür kommt!" 
Jemand schüttete Benzin durch ein zerbrochenes Fenster und ein Streichholz hinterher. Im gleichen Moment traf Polizeiverstärkung ein - mehrere Hundertschaften im Kampfanzug und mit Schutzhelm. Die "New York Daily News" schrieb später, für einige Stunden habe "Bürgerkrieg in Greenwich Village" geherrscht. Während des folgenden Tages blieb die Atmosphäre gespannt, und im Schutz der Dunkelheit brach die Gewalt wieder los. Schätzungsweise 4.000 Schwule, Lesben und 
Drag-Queens waren auf den Straßen - an den eigentlichen Krawallen beteiligten sich einige hundert. Auch in den folgenden Nächten gab es Scharmützel. Laut "New York Times" löste die Bereitschaftspolizei noch in der Nacht vom 2. auf den 3. Juli eine grölende Gruppe von etwa 500 Personen auf und wurde erneut von Flaschen und Bierdosen getroffen. Im Großen und Ganzen aber hatte sich die Wut der Gay - Community erschöpft und war einem bis dahin nicht gekannten Gefühl gewichen: Stolz

Zeitungsartikel „Village Voice“:
Ein Reporter steht an diesem Abend zusammen mit Pine vor dem Eingang des Stonewall lnn. Das weitere Geschehen beschreibt er am 3. Juli 1969 in der Zeitung "Village Voice" Pine sagt: "Wir müssen reingehen, uns drinnen einschließen, das ist sicherer." Ich gehe mit. Wir schließen die schwere Tür. Die Front des Stonewall besteht größtenteils aus Ziegelsteinen, ausgenommen die Fenster, die von innen mit Sperrholz geschützt sind. Drinnen hören wir das Rütteln an den Fenstern, gefolgt von Geräuschen, die von an die Tür geworfenen Ziegelsteinen stammen müssen.
Wir hören aufgebrachte Stimmen." Draußen, auf der Christopher Street, hat inzwischen die militante Stimmung weiter zugenommen. Die Parole "Stürmt das Stonewall!" setzt sich bei jenen durch, die vorne stehen. Jemand greift einen Mülleimer und schlägt damit ein Fenster ein. Mehrere versuchen eine Parkuhr aus der Verankerung zu reißen, um sie als Rammbock gegen die Tür einzusetzen. Es gelingt. Rufe von weiter hinten Stehenden feuern sie an.
Aus der Sicht der Belagerten berichtet der Reporter weiter: Plötzlich springt die Tür auf. Bierdosen und Flaschen poltern herein. Während Pine und seine Leute versuchen, die Tür wieder zu schließen, wird ein Polizist am Auge verletzt. Er jammert laut, aber es sieht schlimmer aus, als es ist. Sie alle haben plötzlich Angst bekommen. Drei laufen nach vorn, um die Menge von der Tür aus zu beruhigen. Ein Münzhagel ist die Antwort. Eine Bierdose schlägt gegen den Kopf von Polizeiinspektor Smith. Pine sammelt sich, springt hinaus ins Getümmel, greift jemandem um die Taille, zieht ihn nach hinten und schleift ihn in den Flur. Inzwischen ist es gelungen, die Tür wieder zu schließen. Der Hereingezogene wird von wütenden Polizisten umringt, die ihre Wut an ihm auslassen. Pine sagt zu ihm:
„Ich habe gesehen, wie Sie etwas geworfen haben!“ 
Unglücklicherweise antwortet der Gefasste und sagt: 'Nur einige Münzen!' Der Polizist, der kurz vorher einen Wurf abbekommen hat, gerät in Wut, schreit etwas wie:
"Dann warst du es, der mich verletzt hat!"
Und während die anderen Polizisten ihn dabei unterstützen, prügelt er fünf-, sechsmal auf den Gefangenen ein. Sie schlagen selbst dann noch auf ihn ein, als er schon fix und fertig ist.

Draußen, vor dem Stonewall, ist eine neue Parole aufgekommen.
Sie heißt "Roast the pigs alive!" und zugleich geht der Ruf nach Benzin durch die Menge. Die im Lokal eingeschlossenen Polizisten fangen an, durchzudrehen.
Jetzt gibt die Tür an der Seite nach.
Ein Polizist schreit: „Verschwindet oder ich schieße!“
Für eine kurze Zeit hört das Rütteln auf. Auf einmal ist die Eingangstür völlig offen. Gleichzeitig fällt mit lautem Getöse eines der Sperrholzfenster herunter und es scheint unvermeidlich, dass die Menge hereinstürmt. Alle Polizisten ziehen ihre Pistolen. Sie zielen auf die Tür.
Ich höre, wie einer der Polizisten sagt: „Ich knalle den ersten Motherfucker ab, der durch die Tür kommt!“
Durch ein zerbrochenes Fenster wird Benzin ins Innere des Stonewall geschüttet und angezündet. In das Brausen der Flammen mischen sich von Ferne die Sirenen der herbeigeholten Polizeiverstärkung.
Ein großes Aufgebot erreicht die Christopher Street und das Stonewall. Die Cops begannen, wild auf die Menge der Schwulen und Lesben einzuprügeln. Es gelingt ihnen, die Demonstranten abzudrängen und das Feuer zu löschen.

Dieser Teil der "Stonewall-Rebellion" dauert ganze 45 Minuten. Es gibt mehrere Verletzte. Dreizehn Personen werden verhaftet. Wie ein Lauffeuer verbreitet sich die Kunde in der Szene, dass sich die Gays zu wehren begonnen haben. Als am nächsten Tag viele Schwule und Lesben vor das Stonewall ziehen, um den Ort des Aufbruchs zu besichtigen, finden sie dort eine Menge Kreideinschriften an den Wänden:
"Support gay power!", "Drag power!", "They invaded our rights", "Gay is good" und immer wieder "Gay Power!"

Die wilden Tage boten eine Menge Stoff zur Legendenbildung. So heißt es oft, die Unruhen seien von Drag-Queens begonnen worden. Augenzeugen und Fotos können dies nicht belegen. Ein anderer Mythos handelt von den unterdrückten New Yorker Schwulen, die sich nur noch mit Gewalt wehren konnten. Zwar hatte bis 1965 jede Bar ihre Alkohollizenz verloren, in der drei oder mehr Schwule bedient wurden. Doch 1969 galt das nicht mehr; der neue New Yorker Bürgermeister John V. Lindsay, ein liberaler Republikaner, war überzeugt worden, dass diese Praxis vor Gericht nicht standhalten würde.
Robert Amsel, ab der zweiten Nacht Zeuge der Ereignisse, stellte 1987 im US-Homo-Magazin "Advocate" die Frage, ob die Unruhen in der Christopher Street unter diesen Umständen überhaupt "irgendetwas mit schwul-lesbischen Rechten zu tun" gehabt hätten. Auch wenn die Eruption in der Christopher Street eher ein Zufall gewesen sein sollte, wie die Spötter sagen, verstärkt wurde sie durch die Trauer der Homosexuellen, um Judy Garland die am gleichen Tag beerdigt, wurde: Die "Haarnadel-Revolte", wie sie zunächst genannt wurde, erlangte eigene Bedeutung und versetzte der Homosexuellen-Emanzipation einen kräftigen Schub über die bieder-bürgerlichen Anstrengungen der 60er Jahre hinaus.
Die kurze Zeit später gegründete Gay Liberation Front (GLF) hatte eine eindeutig linke Ausrichtung und orientierte sich an der Friedens-, Black-Power- und Frauenbewegung jener Zeit.
Auch dort hatte es Radikalisierungen gegeben, und Gay Lib war eingebunden in die durch Hippiekultur und den Protest gegen den Vietnam-Krieg gekennzeichnete Auf- und Umbruchstimmung.
An die Stelle höflichen Protestierens durch bürgerliche Homophile aus der Anzugträger-Ecke trat nun militante Konfrontation.

Zehn Jahre Verspätung

Die Bedeutung von Stonewall vermittelte sich weltweit; Gay Liberation Fronts entstanden in vielen amerikanischen und einigen europäischen Städten. In Deutschland spielte die Stonewall-Randale indes zunächst keine Rolle: Zwei Tage vor dem New Yorker Ereignis hatte der Bonner Bundestag den Schwulenparagraphen 175 reformiert. Für die bundesdeutschen Schwulen war das Jahr 1969 mit der nun straflosen Homosexualität unter Erwachsenen verbunden. Und angesichts größerer politischer Unruhen etwa im Zusammenhang mit Vietnam wurden die wenigen hundert Homos aus New York auch von den deutschen Medien nicht wahrgenommen.

Hierzulande radikalisierten sich die Schwulen als Reaktion auf Rosa von Praunheims Film "Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt" von 1971. Als es in London im gleichen Jahr zu einem ersten Gay Liberation March kam, erinnerten auch in der Bundesrepublik vereinzelte Stimmen an den Christopher Street Day. Es dauerte aber noch bis zum Jahre 1979, bis eine Tradition begründet wurde. Am 30. Juni vor über zwanzig Jahren fanden in Berlin und Bremen die ersten bundesdeutschen CSD-Demonstrationen statt.
Heute gehen anlässlich des Christopher Street Day Lesben, Bisexuelle,Transgender, Schwule und ihre Freunde zu Tausenden auf die Straße - haben Spaß, präsentieren die Selbstverständlichkeit und Vielfalt ihre Art zu leben und demonstrieren für eine Verbesserung der rechtlichen Situation. Die größten CSD-Paraden in Deutschland finden in Hamburg, Berlin und Köln statt, die Besucherzahlen gehen weit über 1.000.000 Grenze hinaus.
Mittlerweile ist der CSD auch in die „Provinz“ eingekehrt, hier haben sich Straßenfeste und Paraden zum CSD fest etabliert.

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